Der kleine König

Andrés d‘Alessandro verwirrt Herthas Abwehr und führt den VfL Wolfsburg zu einem standesgemäßen 3:0-Sieg

WOLFSBURG taz ■ Manchmal wird alles über Nacht wieder gut. Manchmal nicht. Hertha BSC Berlin jedenfalls ist und bleibt ein Fußballunternehmen mit diversen Problemen. Das sah man beim 0:3 in Wolfsburg deutlich. Ehrlich gesagt: Alles andere hätten einen auch gewundert.

Der neue Slogan, den sich die Berliner Journalisten zuraunen, heißt: Nach dem Ultimatum ist vor der Entlassung. Die Frage ist: Wie viel Zeit wird vergehen zwischen dem Tag, an dem Trainer Huub Stevens die „Vereinbarung“ mit dem Klub erfüllt hat (zweimal gegen Rostock siegen oder entlassen werden) – und dem Tag, an dem er gehen muss.

Dieter Hoeneß, der Hertha-Chef, war mächtig genervt, als beim Pressegespräch nach dem Spiel rumgestochert wurde, was denn nun die „Auswirkungen“ der fünften Saisonniederlage seien. „Stellen Sie eine konkrete Frage“, zischte der Manager. Und dass er alles schon hundertmal erklärt habe. Also: „In der Winterpause wird Bilanz gezogen.“

Huub Stevens hatte gerade seine Analyse herausgebellt, da musste auch er schon wieder „diese Frage nach den Ultimatums“ abbügeln. Man habe ein weiteres Spiel verloren, basta.

Trainer und Manager wollen verständlicherweise Verbesserung gesehen haben – und ein knappes Scheitern. Neutrale Beobachter sahen eine klare Niederlage. Auch wenn Hertha in einer kurzen Phase von Lebendigkeit und Zielstrebigkeit nach der Pause aus dem 0:2 ein 2:2 hätte machen können, als Luizão und Bobic zwei Pfostentreffer verzeichneten. Da deutete man zumindest an, dass man um die Stärke seines neuen Strafraumstürmers Fredi Bobic weiß.

Ansonsten ist Wolfsburg – zumindest zu Hause – einfach eine Klasse besser als Hansa Rostock und derzeit auch Hertha. Kein Spitzenteam, aber mit einer Spitzenoffensive gesegnet – und mit Andrés d’Alessandro (22). Der Argentinier wurde für neun Millionen Euro im Zuge der Kooperation von VfL-Besitzer VW und VW Argentinien von River Plate Buenos Aires geholt. Er ist ein Spieler, der den Unterschied ausmachen kann – und gegen Hertha ausmachte. Während drüben Spielmacher Marcelinho längst nicht wieder fit ist – und von Sarpei nahezu komplett aus dem Spiel genommen wurde, führte D’Alessandro den VfL zum Sieg.

Selbstverständlich verbieten sich alle Vergleiche mit Diego Maradona. Der, sagt D’Alessandro, „war der Größte von allen“. Er selbst hat zunächst mal sein „bestes Spiel in Wolfsburg“ gemacht. Ist bis auf Weiteres ein junger, eher schüchterner Mann, dem seine Jugendlichkeit im Gesicht steht. Auf dem Platz ist er – ohne die übliche Akklimatisierungszeit – sofort zum kleinen König von Wolfsburg geworden.

D’Alessandro kann mit seinem perfekten linken Fuß und dem schnellen Antritt aus dem Stand selbst eine gestaffelte Doppeldeckung abschütteln. Wohl auch eine, die besser funktioniert als jene von Hertha. Da waren Dardai und möglicherweise auch Kovac mit der Bewachung beauftragt – ohne Erfolg.

D’Alessandro machte das 1:0 (24.) selbst, als er Dardai einfach stehen ließ und von Kiralys Fehler profitierte. Und er bereitete die beiden Treffer des neuerdings stark verbesserten Strafraumstürmers Diego Klimowicz vollendet vor (47., 71.).

Dazu hat der VfL den trickreichen Mensequez, den diesmal schläfrige Brasilianer Baiano: Es entwickelt sich in Wolfsburg eine Offensive, die auch den Spaß am Spiel auszudrücken vermag.

Bei Hertha dagegen sieht man bei jedem Schritt, wie schwer unter Druck stehende Männer einer schweren Arbeit nachgehen. Bzw. es versuchen. Huub Stevens, vom DFB für zwei Spiele von der Bank verbannt, hatte auf seinem Platz in Reihe 1 der VW-Arena längst „ein verlorenes Spiel“ konstatiert, als der Wolfsburger Fanblock anfing, das Lied von Jürgen Röber als „dem besten Mann“ zu schmettern. Das war ein bisschen gemein, denn der Song war ja viele Jahre der Nummer-1-Hit der Hertha-Anhänger. Jene hörten apathisch zu. Fast so apathisch wie Nico Kovac auf dem Spielfeld. Das will was heißen.

Tja. Am kommenden Wochenende hat Hertha ein Heimspiel gegen Gladbach. Zu gewinnen. Falls nicht, fängt danach womöglich die Winterpause vorzeitig an. Zumindest für Huub Stevens.

PETER UNFRIED